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Als Wandern noch Mode war

Der Harz im Merian-Reiseführer 11/1973

Heute habe ich mir mal einen Harz-Reiseführer von Merian aus dem Jahr 1973 vorgenommen. Ich liebe es, solche alten Berichte zu lesen, die schon mehr als 40 Jahre hinter sich haben. Viele ist wirklich zum Schmunzeln. Aber man lernt auch ein Paar Dinge dazu. Gleich am Anfang des Reiseführers ist ein Text vom Journalisten Rudolf Walter Leonhardt (09.02.1921 – 20.03.2003), den ich mit Freude verschlungen habe.

Quelle: Merian Harz, 11 XXVI/C, das Monatsheft der Städte und Landschaften im Hoffmann und Campe Verlag Hamburg.
wandern im Harz

„Auf die Berge will ich steigen, auf die schroffen Felsenhöhn“, heißt es in einem Lied, das Heinrich Heine auf einer Wanderung durch den Harz dichtete. Er ist nicht der einzige, den der verborgene Reiz dieses Gebirges in den Bann zog: Auch Goethe und Hans Christian Andersen fühlten sich von ihm angezogen.

Man stelle sich vor, Heinrich Bö11, Uwe Johnson oder Hans Magnus Enzensberger hätten über den Harz geschrieben. Dann hätte es zumindest jernand, der in zweihundert Jahren darüber berichten wollte, was der Harz den Reisenden von heute bedeutet hat, ein wenig leichter. Heinrich Böll hat über Irland geschrieben, Hans Magnus Enzensberger über Cuba, Uwe Johnson über New York. Uber den Harz gibt es heute kaum literarische Zeugnisse. Ist das nördlichste Gebirge Deutschlands nicht mehr „in“?

Dabei waren es doch zuerst die Dichter, die den Harz in aller Welt bekannt gemacht haben. ]ohann Wolfgang von Goethe war wohl nicht der erste, aber der erste prominente Harz-Tourist. Mit seiner ,,Harzreise im Winter“ 1777, über die er dann dieses merkwürdige Gedicht geschrieben hat, taucht der Harz zum erstenmal auf in der großen Literatur. Was Goethe in den Harz zog, war wissenschaftliches und beinahe professionelles Interesse. Der Geheime Legationsrat im weimarischen Staatsdienst war ja ausdrücklich beauftragt Worden, die Wiederaufnahme des Bergbaus im großherzög1ich-weimarischen Ilmenau vorzubereiten. Da gab es viel zu lernen in den „sieben Bergstädten“ des Harzes, wo vor allem die Silbererzförderung den Ruf genoß, auf dem letzten Stand der damaligen Technik zu stehen. Literarhistoriker haben festgestellt, durch die erste Harzreise sei Goethe zum Naturwissenschafller geworden. Bemerkenswert ist immerhin, daß er in den späten Erklärungen zu dem Harz-Gedicht auch die ersten Anregungen zu seiner Farbenlehre dorthin verlegt. Naturwissenschaflliches Interesse war es wohl weniger, was den Studenten der Jurisprudenz Harry Heine veranlaßte, knapp fünfzig ]ahre später auf Goethes Spuren zu wandeln. Die Tannen des Harzes zum Beispiel, von denen er schreibt, sie genügten vielleicht, bei sparsamem Haushalt, ein Leben lang zur Ausstafßerung seiner Gedichte, waren botanisch exakter jedenfalls vorwiegend als ßchten zu beschreiben.

Vielleicht war der wichtigste Grund für Heines Harzreise 1824 tatsächlich das Verlangen, Goethe nachzueifern — dem er ja auch bei dieser Gelegenheit einen nicht sehr erfolgreichen Besuch
abstattete und dem er später sein Buch über diese Harzreise „als ein Zeichen der hochsten Verehrung und Liebe“ widmete. Im übrigen lebte er nun einmal in Göttingen nicht weit vom Fuße des Harzes; und es war durchaus Usus bei Göttinger Studenten, die der wenig geliebten Stadt eine Weile den Rücken kehren und sich die Beine vertreten wollten, das Brockenhaus als Ziel zu wühlen. Das muß damals ein recht stattliches Wirtshaus gewesen sein. Was zog die Studenten dorthin? Zunächst: Es war wieder schick geworden zu wandern. Der Turnvater Jahn mag dazu das Seine getan haben. Und während Goethe es noch vorzog, sich von Pferden tragen oder ziehen zu lassen (wollte er unstandesgemiß wandern, dann nannte er sich Weber), verachteten die Studenten des beginnenden 19. Jahrhunderts solche philisterhafte Art zu reisen gründlich, und sogar die Gastwirte hatten sich daran gewohnt, daß auch durchaus vornehme junge Herren zu Fuß ankamen. Nur die jungen Damen und die alteren Herren, die kamen mit der Kutsche; und zu Heines Zeit konnte man mit der Kutsche schon bis zum Brockenhaus fahren.

Was tat man im Brockenhaus? Man beobachtete erstens den Sonnenuntergang, zweitens den Sonnenaufgang, und zwischendurch scherzten die Studiosi und die wandernden Handwerksgesellen mit dem weiblichen Personal und mit der einen oder anderen jungen Dame, die sich (natürlich nicht ohne Chaperon) in die Bergwelt gewagt hatte. Vor allem aber wurde gezecht. Im Gastebuch des Breckenhauses kehrte, mannigfaltig varüert, der Spruch immer wieder: Im Nebel zogen wir hinauf, benebelt wieder runter. Gaudeamus igitur. Gesungen wurde übrigens auch. Zum Beispiel: „Der Gott, der Eisen wachsen ließ, der wollte keine Knechte.“ Und Heinrich Heine sang kräftig mit.

Als illustre Harz-Reisende waren noch zu nennen der Freiherr Joseph von Eichendorf, dessen Werk von dem Erlebnis ziemlich unberührt geblieben ist, und der Maler Caspar David Friedrich, in dessen Gebirgslandschaflen zuweilen auch der Harz aufscheint. Ein prominenter Harz-Reisender er
sei der letzte auf unserer Liste bleibt zu Unrecht oft unerwähnt: der scheinbar provinzielle, in Wirklichkeit weitgereiste dänische Dramatiker, Romancier und Marchenerzähler Hans Christian Andersen. Sein Bericht „Schattenbilder einer Reise in den Harz . . .“ (1831) hat vermutlich dazu geführt, daß noch heute die Dänen das weitaus stärkste Kontingent unter den ausländischen Harz-Besuchern stellen – weswegen der staunende Tourist dort so oft auf Hinweise in dänischer Sprache trifft. Neuen Auftrieb gewann der Harz-Tourismus durch die ersten Eisenbahnen in den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Nun wurde dieser große, nicht so sehr hohe, von Flußtälern durchschnittene Berg — so erscheint der Harz aus der Vogelperspektive – das beliebteste aller deutschen Gebirge. Die Alpen waren noch unzugänglich; der Schwarzwald wartete noch auf seine Entdeckung durch Engländer und Franzosen. Alles fuhr in den Harz. Im Harz auch verstand man zuerst, daß man Fremden etwas bieten müsse, daß schone Natur allein nicht ausreicht. In St. Andreasberg und Braunlage wurde der Skisport kultiviert. Und immer wieder findet man die Gasthäuser des Harzes gerühmt, die so großartig seien und dabei gar nicht so teuer. Irgend etwas muß dann in diesem Jahrhundert passiert sein, was dem Harz nicht gut bekommen ist. Erst war Krieg. Und dann war bald wieder Krieg. Und zwischendurch sprach man vom Harz vor allem im Zusammenhag mit der Harzburger Front. Als die Deutschen in den fünfziger Jahren wieder zu reisen anfingen, zog es sie über die Grenzen, in all die Länder, die zu sehen, zu erleben, den meisten von ihnen immer verwehrt worden war. Den Harz kannten viele von ihnen zwar auch nicht – aber sie hätten ihn doch immerhin kennenlernen können. Der Harz war uninteressant geworden.

Da die Gäste ausblieben, wurden die Gasthäuser bescheidener; und die bescheideneren Gasthäuser zogen die neuen, verwöhnteren Gäste nicht mehr an. So wurde die Wirkung der einen Ursache zur Ursache der anderen Wirkung — wahrhaft ein circulus vitiosus, eine Schlange, die sich ärgerlich in den Schwanz beißt. Dadurch gibt es im Harz keine „großen“ Hotels, keine „berühmten“ Restaurants und nichts von jenem high life, das die zahlungskräftigen Kunden offenbar ungern entbehren. Da durch ist der Harz in den Ruf eines (gewiß schönen) Feriengebiets für Rekonvaleszenten, Rentner, Dänen und kinderreiche Familien gekommen; dazu werden, für den Winter, noch die Idiotenhügel-Abfahrer genannt. Alles ungerecht, wie es eben Verallgemeinerungen sind. Nachweisbar ungerecht zum Beispiel die Herabsetzung der Ski-Abfahrten. Die ,,Hexenritt-Abfahrt“ vom Wurmberg bei Braunlage kann sich mit mancher Alpenpiste messen. Aber dann wiederum hatte der leidenschaßliche Skifahrer gern eine gewisse Garantie, daß während seines Urlaubs, den er weit vorausplanen muß in unserer voll bürokratisierten Welt, dort, wo er hinfährt, auch Schnee liegt. Diese Garantie kann ihm unter 2500 Metern keiner geben, für den Harz jedoch noch ein bißchen weniger als für die meisten anderen Wintersportgebiete.

Aber im Sommer! Ich entdecke da einen Widerspruch zwischen meinem alten Konversationslexikon (Meyer) und meinem neuesten Reiseführer (Grieben). Der eine nennt den Harz besonders regenreich, der andere rühmt seine vielen Sonnentage. „Rauh“ und „nebelig“ wurde das Harz-Wetter seit jeher genannt, und, die Kurverwaltungen mögen es mir verzeihen, so ist es doch auch.Einen nennenswerten Frühling gibt es im Harz so wenig wie in den anderen deutschen Mittelgebirgen. Aber der Herbst – der ist dort in der Tat oft wunderschön.

Nur: Was maeht der abenteuerlustige, unterhaltungsbedürftige Urlauber im Herbst im Harz? Er geht spazieren. Leider sind die meisten Spaziergänge heute eher eine Parodie auf die alten Harzwanderungen. Das hängt sicher auch mit der Motorisierung der Deutschen zusammen, die wie die Hinneigung zu fernen Ländern in den fünfziger Jahfen groß anfing. Das Auto hat keiner deutschen Landschaft sehr gutgetan. Aus dem Harz vertrieb es die Ruhe und die reine Luft. Und die Fahrer werden frustriert, weil alle Straßen von Westen nach Osten an einem Stacheldraht enden. Das ist vermutlich der entscheidende Grund dafür, daß der Harz in eine Außenseiter-Position gedrängt wurde: Er liegt ja wirklich ganz am Rande; ,,Zonenrandgebiet“ nennt man so etwas noch immer, wo es um steuervergünstigungen geht.

Wir können heute weder auf Goethes noch auf Heines Spuren wandeln. Zwar können wir vom Torfhaus, wo Goethe seine W/anderung begann, den Brocken deutlich liegen sehen, wenn
nicht gerade Nebel ist. Aber hinaufsteigen oder -fahren konnen wir eben nicht, und also müssen wir auch den Abstieg entbehren durchs Tal der niedlichen, „süßen Ilse“, die Heinrich Heine so verehrte. Man wagt noch da nicht zu hoffen, daß diese in der Allnatur des Harzes so besonders unnatürlich wirkende Grenze eines Tages doch wieder durchlässiger wird?

Im übrigen ist es nicht ganz wahr, daß der „schönere“ Teil des Gebirges östlich der Grenze läge – freilich, der Brocken und das Ilse-Tal, der Hexentanzplatz und die Roßtrappe . . . und Wernigerode . . . . da könnte man lange aufzählen. Aber wenn ich nicht Reiseführer abschreiben will, dann müßte ich dafür weit in meine Erinnerungen zurückgreifen. Zuletzt habe ich den östlichen Teil des Harzes
vor 25 Jahren gesehen: Wir gingen dort gern über die Grenze zwischen der sowjetischen und der britischen Besatzungszone. Das war streng verboten und daher sehr abenteuerlich, aber damals noch verhältnismaßig ungefährlich; Heute, nachdem die Zonengrenze zur Staatsgrenze avanciert ist, wäre es niemandem zu raten.

Schön ist der ganze Harz – eine bescheidene, herbe Art von Schönheit, die sich im Tourismus der Superslative schwer verkaufen läßt. Durch meine Beschreibungen von Harzreisen einst möchte ich niemanden von einer Harzreise jetzt abhalten. Es hängt ganz von ihm selber ab, ob sie lohnt.

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